Holzgerlingen Online - Eule und Rabe © Bärbel Lohberg

Vergebliches Hoffen auf die Geheimwaffe

Heute kommt eine 84jährige Holzgerlingerin zu Wort, die im August 1945 ihre Erlebnisse vom Kriegsende niedergeschrieben hat:

"Es ist Ende März 1945. Wir können uns fast nicht mehr aufs Feld trauen, die feindlichen Flieger sind immer in der Nähe. Wenn man von ferne das Motorengeräusch hörte, musste man sich unter einen Baum flüchten oder sich ganz flach in die Ackerfurche legen, denn die Jabos (Jagdbomber) schießen gezielt auf einzelne Menschen!

Bei Tag und Nacht gibt es Fliegeralarm und die deutschen Soldaten befinden sich auf dem Rückzug. Immer wieder kommen ganze Kompanien ins Dorf und werden einen oder zwei Tage einquartiert.

Die Soldaten sagen uns, dass der Krieg verloren ist und wir Jungen können und wollen das einfach nicht glauben. Der Führer Adolf Hitler hat doch noch von einer geheimen Wunderwaffe gesprochen, die noch alles wendet!

Es geht keine Post und keine Bahn mehr! Wir wissen seit Wochen nichts von der Braut meines Bruders, die in Eglosheim bei Ludwigsburg wohnt.

Ich entschließe mich deshalb, am Karfreitag, den 30. März mit dem Fahrrad zu ihr zu fahren über Böblingen - Vaihingen - Botnang. Dort stehen eine ganze Reihe Särge vor den Häusern neben der Straße - es sind die Toten vom letzten Fliegerangriff. Plötzlich höre ich das Motorengeräusch der feindlichen Flieger und ich springe vom Rad und werfe mich in den Straßengraben. Stuttgart wird bombardiert und ich muss noch mehrmals in den Wiesen in Deckung gehen, bis ich endlich am Abend in Eglosheim ankomme. Dort sind alle noch gesund.

Am Abend sind unsere Soldaten weiter auf dem Rückzug, nur eine kleinere Gruppe macht Halt und wir kochen Tee für sie. Auch sie sagen, dass der Krieg endgültig verloren ist. Ich bekomme nun auch Zweifel am Wort des Führers und will es doch nicht wahr haben.

Am Ostermontag radle ich wieder zurück nach Holzgerlingen, aber jetzt ist es schon viel schwieriger voranzukommen. Überall sind Soldaten auf dem Rückzug und die feindlichen Flieger fast dauernd über uns. Im Vaihinger Wald höre ich plötzlich Sirenengeheul - gleich darauf fallen Bomben. Ich werfe mein Fahrrand an die Böschung und verkrieche mich im Wald. Über mir pfeifen die Querschläger der Bomben durch die Bäume und es zischt und rauscht über mir. Auch in der Ferne fallen Bomben. Als alles wieder still ist und ich zu meinem Fahrrad komme, rollen viele Sanitätsautos an mir vorbei Richtung Vaihingen. Einige Soldaten berichten mir, dass die Böblinger Kaserne bombardiert wurde und es viele Tote und Verletzte gegeben hat.

Ich brauchte lange, bis ich endlich am Holzgerlinger First war, auch hier musste ich wieder Schutz im Wald suchen wegen der Fliegerangriffe. In Holzgerlingen sah ich, dass das Haus von Schuhmacher Karl Frasch durch eine Bombe zerstört worden war - zum Glück hatte es keine Toten gegeben. Wie war ich froh, wieder daheim zu sein. Meine Mutter und meine Brüder hatten große Angst um mich gehabt.

Im Betrieb hörte ich von einem Arbeiter, dass im Gäu schon die Franzosen sind. Dort sei auch geplündert worden und die Mädchen und Frauen sollten sich ja nicht zeigen, wenn der Feind auch zu uns kommt. Ich wollte es einfach nicht glauben, dass alles so enden sollte. Am 19. April war es dann wahr: Die ersten französischen Soldaten fuhren auf Motorrädern ins Dorf ein. Wir waren voller Angst als wir hörten, dass sie einige Häuser durchsuchten und die Telefonleitungen in der Post zerstört hatten. Am anderen Tag war alles ziemlich ruhig, die Lage aber sehr angespannt. Was würde kommen?"

Emmi Schmid

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Autor:
Helga Zaiser
Mörikestraße 26
71088 Holzgerlingen
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