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Auf der Dreschmaschine fing alles an - Die Heimatdichterin Luise Burkhardt

Beim historischen Handwerkermarkt konnte man eine alte Dreschmaschine bewundern, wie sie früher im Winter in vielen Scheunen anzutreffen war.

Die Bauern droschen ihr Getreide selbst und es waren vor allem Frauen, die oben auf der Maschine die Garben in die Schüttvorrichtung eingeben mussten. Eine ziemlich staubige Angelegenheit. Im Alter von erst 14 Jahren musste auch Luise Renz, Tochter des Landwirts Gottlob Renz, im Betrieb ihrer Eltern tüchtig mithelfen und so entstand - nach ihren eigenen Erzählungen - ihr erstes Mundartgedicht auf der Dreschmaschine!

Geboren am 7. Oktober 1907 in Holzgerlingen hatte die junge Luise, die aus einer alten Schäfersfamilie stammte, schon früh eine große Liebe zu Natur und Heimat entdeckt und diese in Versform ausgedrückt .Bald wurde man im Dorf auf das junge Dichtertalent aufmerksam und zur 50er-Feier ihrer Mutter im Jahr 1926 gelangte ihr erstes Mundartstück zur Aufführung. 1929 heiratete Luise Renz den aus Stuttgart stammenden Ernst Burkhardt. Dieser entdeckte seine Freude an der Landwirtschaft und so übernahmen die beiden das bäuerliche Anwesen seines Vetters "im Hof" in der Tübinger Straße. Bald vergrößerte sich die Familie - die beiden Töchter Anneliese und Gertrud kamen zur Welt.

Zehn Jahre nach der Hochzeit begann der zweite Weltkrieg und auch Ernst Burkhardt wurde einberufen. Beim Fliegerangriff auf Holzgerlingen im Oktober 1943 brannten auf ihrem Anwesen Scheune und Remise ab. In dieser schweren Zeit blieb Luise kaum Zeit zum Dichten, sie musste - wie viele andere Frauen - in der Familie und in der Landwirtschaft "ihren Mann stehen". Nach dem Krieg entfaltete die Heimatdichterin ihr ganzes Können. Es entstanden weit über hundert Gedichte - meist in Holzgerlinger Mundart - und fanden ihren handschriftlichen Niederschlag in zahlreichen Schulheften. Auf ihrem Nachttisch lag ein Bleistift ständig griffbereit, nachts kamen ihr oft die besten Gedanken. Sie schrieb u.a. Gedichte für Jubiläumsfeiern, Geburtstage, Fahnenweihen, Richt- oder Betriebsfeste.

Am liebsten saß Luise Burkhardt in ihrer "Dichterklause", die sie sich in der alten Remise hinter dem Haus eingerichtet hatte. Auf einem verblichenen Sofa mit dem Blick auf ihren urwüchsigen Bauerngarten, zu dem Hühner ebenso gehörten wie die Kletterrosen und der alte Holunderbaum, verfasste sie viele Gedichte. Sie schrieb über die Spatzen, die ihren frisch gepflanzten Salat zerpflückten, über die Stare, die nach dem Genuss der Holunderbeeren Nachbars Wäsche verschmutzten, die beschrieb die Arbeit der Bauern im Jahreslauf, besang den "Häseltrog", den "Aispelesbaum" und natürlich den von ihr so geliebten Schönbuchwald.

Aber auch an aktuellen Ereignissen nahm Luise Burkhardt in ihren Gedichten teil. Sie schrieb über die Einweihung öffentlicher Bauten, über das Tagesgeschehen im Dorf, ja, sogar über die Landung des ersten Menschen auf dem Mond! Für die 950-Jahrfeier hat sie 1957 ein sehr umfangreiches Gedicht mit dem Titel "Die gute, alte Zeit" verfasst, das in unverfälschtem "Holzgerlengerisch" vieles über den alten Ort und seine Menschen erzählt.

Luise Burkhardt trug viele ihrer Gedichte in besonders lebendiger Form gerne selbst vor. Dabei wurde sie hervorragend unterstützt von ihrem Mann, der als "s' Ernschtle vom Hof" überall bekannt war. Vor allem die witzigen Gedichte seiner Frau (und anderer Mundart-Autoren) machte er durch seine unnachahmliche Mimik und Gestik zu einem echten Erlebnis. Er brachte dabei auch noch die Leute zum Lachen, die den ur-schwäbischen Dialekt gar nicht verstehen!

Aber nicht nur im ganzen Kreis Böblingen wurde man auf Luise Burkhardt aufmerksam. Sprachforscher haben Tonband-Aufnahmen von ihr gemacht, die u.a. am Germanistischen Institut der Universität Mannheim einem begeisterten Professoren-Kollegium vorgespielt wurden. Man war dort der Ansicht, dass diese unverfälschte schwäbische Mundart fast nirgends mehr zu hören ist. Auch beim damaligen Süddeutschen Rundfunk haben die Eheleute Ernst und Luise Burkhardt wiederholt Sendungen mitgestaltet. Und eine ganz besondere Ehre für beide war eine Einladung zum 60. Geburtstag des damaligen Ministerpräsidenten Filbinger, wo sie vor 250 geladenen Gästen ein Geburtstagsgedicht vorgetragen haben.

"D' Hofluis'" - wie man sie überall nannte - war immer ein bescheidener und zufriedener Mensch geblieben, sie hielt nichts von Reisen in die weite Welt und hat auch nie Urlaub gemacht. Bis zum 73. Lebensjahr, dem Beginn ihrer Krankheit, verfasste sie zahlreiche Gedichte und Liedtexte in Mundart und in der Hochsprache. 1979 konnte das Ehepaar Burkhardt noch Goldene Hochzeit feiern, aber dann ließen die Kräfte der Heimatdichterin immer mehr nach und sie verstarb am 24. April 1980 an Nierenversagen.

Der frühere Landrat Karl Hess schrieb in seinem Nachruf über Luise Burkhardt: "Sie war eine Dichterin, vielleicht nicht nach der Form ihrer Verse, die oft nicht so glatt daherliefen, und bei der Schreibung ist es mit der Mundart überhaupt so eine Sache, aber sie war eine Dichterin, eine durch und durch poetische Natur aus dem Reichtum ihres Gemüts, aus Herzenstiefe und froher Menschlichkeit. Gegenstand ihrer Verse waren die Heimat, ihre Natur und Landschaft und ihre Menschen. Beim Vortrag der Dichtungen gewannen die Gedanken Leben und die warme Herzlichkeit teilte sich den Zuhörern mit."

Im Jahr 1985 erschien dann in Zusammenarbeit mit Ernst Burkhardt (er starb 1989) aus ihrem Nachlass das Mundartbüchlein "Dr Lendaboom" mit einer Auswahl von Gedichten, die aber zuvor erst "übersetzt" werden mussten, denn sie waren in der alten deutschen Schrift verfasst. Wegen der großen Nachfrage erschien später eine zweite Auflage des "Lendaboom" - im Heimatmuseum sind noch die letzten Exemplare zu haben. Für ungeübte Leser empfiehlt sich das laute Vorlesen, denn das "Original-Holzgerlengerisch" ist schwierig zu lesen und heute schon fast zur Fremdsprache geworden.

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Autor:
Helga Zaiser
Mörikestraße 26
71088 Holzgerlingen
Telefon 07031/609349
E-Mail: email[at]omahelga.de


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